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15. March 2022

ZEIT Beilage: Die Zukunft des Wohnens

WILLKOMMEN IM QUARTIER DER ZUKUNFT

Was muss passieren, um den unterschiedlichen Bedürfnissen beim Thema „Wohnen” künftig gerecht zu werden? Ein Plädoyer für mehr Partizipation und Resilienz in der Stadtplanung!

Die grauen Fassaden der Hochhäuser kündigen den neuen Bremer Stadtteil Osterholz-Tenever in den 1970er-Jahren schon von Weitem an. Zwischen grünen Wiesen, unweit der Autobahn, am äußersten Stadtrand werden hier als vermeintliches Zukunftsprojekt knapp 4.000 Wohnungen in mehreren Hochhäusern aus dem Boden gestampft. Die Politik und die beteiligten Stadtplaner sind sich sicher, dass Bremen zur Millionenstadt wachsen würde und die Menschen aus der Stadt gerne in lebendigen Hochhäusern am Stadtrand leben möchten. Schon ziemlich schnell ist allerdings klar, dass das nicht der Fall ist. Leerstand. Bestandsverfall. Kriminalität. Rückbau. Der millionenschwere Plan entpuppt sich als Desaster. Bis in die 1990er-Jahre. Denn nach der Sanierung zahlreicher Wohnungen und mittlerweile mit einer Straßenbahn-Anbindung an die Stadt blüht der Stadtteil allmählich wieder auf. Aus einer städtebaulichen Sünde wird ein Erfolgsmodell des sozialen Stadtumbaus. Bremen-Osterholz-Tenever steht in der Stadtplanung trotzdem noch heute für eine klassische Fehlplanung, in der die zukünftigen Bedürfnisse auf dem Papier anders aussehen als in der Realität.

Natürlich ist es als Planer*in unmöglich, in die Glaskugel zu schauen. Doch aus einigen Trends, die wir aktuell beobachten, können wir das Quartier der Zukunft schon heute entwerfen. Einschneidende Veränderungen verspricht etwa der demografische Wandel: Die Bevölkerung wird immer älter und es werden immer mehr Wohnungen für Ein- und Zweipersonen-Haushalte nachgefragt. Nachhaltigkeit ist ein weiterer Trend, der die Wohnungswirtschaft und die Stadtentwicklung künftig maßgeblich beeinflussen wird. Ressourcenschonende Gebäude, klimafreundliche Mobilitätsformen oder die Begrünung der Quartiere werden eine immer größere Rolle spielen.

Wie kann man also sicherstellen, dass in den Gebäuden, die heute gebaut werden, auch Jahrzehnte später glückliche Menschen wohnen? Über die letzten Jahre hat sich das Konzept der Resilienz in der Planung etabliert – also die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit der Quartiere gegenüber allen möglichen Veränderungen. Anstatt Gemäuer für die Ewigkeit zu bauen, müssen Gebäude vielmehr auch nach ihrer Fertigstellung schnell und kostengünstig wandelbar sein. Änderungen der. Nutzung, der Wohnungsgröße oder der Gestaltung von Freiräumen sind von Anfang an einzuplanen. Rückbau oder Aufstockung dürfen keine Notlösungen für fehlgeplante Quartiere sein, sondern müssen als Konzept für flexible Wohnumgebungen mitgedacht werden.

Denn das Quartier, in dem wir morgen leben, wird ein anderes sein als das von heute. Veränderung findet immer statt, das wissen wir aus unserem eigenen Wohnumfeld nur zu gut. Umso wichtiger ist es, dass die Bewohner*innen schon von Anfang an in die Planung mit einbezogen werden. Sie kennen ihr Quartier am besten, können Wünsche und Anliegen kommunizieren, die das Lebensumfeld verbessern und die Planer*innen und Wohnungsbauunternehmen oft verborgen bleiben.

Leider sieht es in der Realität oft anders aus: Da werden Forderungen nach mehr Wohnungen gegen solche nach dem Erhalt von Grün- und Freiflächen als Gegensätze verstanden. Klimaschutz oder bezahlbarer Wohnraum. Dabei darf es niemals um das Entweder-oder gehen, sondern immer um das Sowohl-als-auch. Wie können wir günstige Mieten und ausreichend Wohnraum in eine klimafreundliche und zukunftstaugliche Stadtentwicklung integrieren? Das sollte die Kernfrage aller Bauvor- haben und Planungsprozesse sein. Nur wenn wir gemeinsam eine überzeugende Antwort darauf finden, können wir sicherstellen, dass wir auch in Zukunft in Quartieren leben, die grün und lebendig sind, in denen Menschen aller Einkommens- und Altersklassen zusammenleben.

„DAS QUARTIER, IN DEM WIR MORGEN LEBEN, WIRD EIN ANDERES SEIN ALS DAS VON HEUTE. VERÄNDERUNGEN MÜSSEN VON ANFANG AN MIT- GEDACHT UND MIT DEN MENSCHEN GESTALTET WERDEN.“

Zum Schluss sei deshalb noch ein Beispiel erwähnt, wie sich diese Ideen erfolgreich in die Praxis umsetzen lassen können. In der Seestadt Aspern in Wien entsteht derzeit auf einem ehemaligen Flugfeld ein neues Quartier, eigentlich eine ganz neue Stadt. Als Vorsitzende des Gestaltungsbeirats konnte ich diese Entwicklung in den letzten sechs Jahren eng begleiten: Um einen See in der Mitte des Quartiers sind Wohn- und Gewerbegebäude, eine Einkaufsstraße und viele Freiflächen entstanden. Es wurde von Anfang an auf die soziale Durchmischung, die Klimaverträglichkeit und ein vielfältiges Wohnumfeld geachtet. Auch wenn die Seestadt Aspern als eines der größten Stadtentwicklungsprojekte der Welt mit vielen kleineren Projekten nur bedingt vergleichbar ist, zeigt das Vorhaben doch den Mut der handelnden Personen, sowohl die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner*innen als auch die großen Trends von morgen als Grundlage für die Planung zu nutzen und nicht gegeneinander auszuspielen.