Anlass und Hintergrund
Wachsende Metropolen und Großstädte wie Wien stehen unter einem enormen Druck: Mit dem demografischen, sozialen und ökonomischen Wandel stellen sich neue Herausforderungen an die über Jahrhunderte gewachsenen baulich-räumlichen Strukturen. Hinzu kommen ökologische und klimatische Aspekte, die vielfach im Widerspruch zum Erhalt wertvoller historischer Bausubstanz stehen. All dies erfordert integrative Ansätze und fundierte Abwägungsprozesse, die auch das kulturelle Erbe als wichtige identitätsstiftende Schicht und historisches Zeugnis der Stadt in den Blick nehmen.
Der Standort und das beantragte Vorhaben „Heumarkt Neu 2023“, ein Hotelneubau am Rande der Kernzone des UNESCO-Weltkulturerbes, haben für die Wiener Stadtentwicklung eine außerordentlich hohe Bedeutung. Im Laufe des mehrjährigen Planungsprozesses ist der Entwurf des Investors, der aus dem Jahre 2013 stammt und die UNESCO-Verträglichkeit in Frage gestellt hat, immer wieder überarbeitet worden, um den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden: Von einer ursprünglich geplanten Gebäudehöhe von 74 Metern wurde diese bis 2023 auf knall 50 Meter reduziert. Das Historische Zentrum von Wien, das 2001 in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten aufgenommen worden war, wurde 2017 auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt. Diese Eintragung erfolgte aufgrund einer vom Welterbekomitee kritisierten Entwicklung, zu der die Planung am Heumarkt einen Beitrag leiste.
Unser Gutachtensauftrag bestand darin, festzustellen, ob das Vorhaben „Heumarkt Neu 2023“ Beeinträchtigungen der Welterbestätte „Historisches Zentrum von Wien“ verursacht und wie diese einzustufen sind. Dazu haben wir die potenziellen Auswirkungen auf den Outstanding Universal Value (OUV) im Einzelnen untersucht und jeweils die visuelle, funktionale und strukturelle Integrität der im Managementplan der Welterbestätte definierten Attribute betrachtet. Diese bestehen vor allem in der gewachsenen Stadtmorphologie und Ablesbarkeit unterschiedlicher Zeitschichten (vor allem Mittelalter, Barock, Gründerzeit und Moderne), sowie besonderen Stadtveduten und -ansichten. Eine zentrale Fragestellung bestand in der Überformung des sogenannten Canaletto-Blicks – einer Blickbeziehung zwischen dem Oberen Schloss Belvedere auf das historische Stadtzentrum, die um 1759/60 vom venezianischen Maler Bernardo Bellotto inszeniert wurde.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass möglicherweise durchaus nachteilige Auswirkungen auf den Schutzzweck zu erwarten sind; einzelne OUV-Attribute werden voraussichtlich in ihrer visuellen, funktionalen und/oder strukturellen Integrität beeinträchtigt. Insbesondere die barocke Sichtachse vom Oberen Schloss wird durch den höheren Baukörper im Hintergrund des Unteren Schlosses signifikant verändert. Auch entsteht durch die Kubatur und Gestaltung des neuen Baukörpers ein Bruch in der Typologie sowie der Geschossigkeit mit der umgebenden historischen Bausubstanz dar. Andererseits kann dieser gestalterische Kontrast als im Sinne der Überlagerung unterschiedlicher und Fortführung von Zeitschichten gedeutet werden.
Zugleich werden durch das Vorhaben einige Attribute auch positiv beeinflusst, etwa im Sinne einer visuellen Inszenierung oder Stärkung in ihrem Aussagegehalt. So wird etwa die Raumkante des bestehenden Hotel Intercontinental aufgegriffen, und die Sichtbarkeit der Fassaden umgebender Gründerzeitbauten erhalten. Auch wird öffentliche Raum qualitätvoll umgestaltet und mitunter als Trainingsfläche dem seit 150 Jahren bestehenden Wiener Eislaufverein zur Verfügung gestellt.
Ort
Wien
Auftraggeber
Stadt Wien
MA 22 (Umweltschutz)
Beauftragung
Gutachterliche Stellungnahme
Bearbeitungszeitraum
Erstes Gutachten: 10|2022 – 04|2023
Zweites Gutachten: 11|2023 – 02|2024
Projektpartnerin
Prof. Christa Reicher, UNESCO-Chair für Kulturerbe und Städtebau, Fakultät für Architektur an der RWTH Aachen University
RHA BÜRO AACHEN
REICHER HAASE ASSOZIIERTE GMBH
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